07. Nov. 2023

Das Schicksal dreier mutiger Frauen und die Geschichte der ersten deutschen Jeans

In ihrem neuen Roman »Wir Frauen aus der Villa Hermann« erzählt Pia Rosenberger, beginnend 1932 in dem baden-württembergischen Künzelsau, die Geschichte der ersten deutschen Jeans. Im Gespräch berichtet die Autorin nicht nur von ihrer Recherche und den Figuren ihres Romans, sondern auch von dem neuen Lebensgefühl, das die Jeans nach Deutschland brachte.

Jeans sind nicht mehr aus unserer Mode wegzudenken. In »Wir Frauen aus der Villa Hermann« erzählen Sie die Geschichte, wie dieses Stück Kult im 20. Jahrhundert erstmals nach Deutschland kam. Was ist das Besondere an dieser Geschichte?

Mein Roman zeichnet anhand des Schicksals der Figuren ein Stück deutsche Geschichte zwischen den dreißiger und den fünfziger Jahren nach. Bei der Recherche hat mich besonders überrascht, wie total der Versuch der Nazis war, die Kontrolle über den Geist der Menschen zu gewinnen. Was für ein kostbares Gut die Freiheit ist, zeigt die Beschäftigung mit jener Zeit. Diktatur und Krieg führten neben Luise Hermanns Kleiderfabrik auch viele andere Betriebe in den Bankrott. Bewundernswert war für mich der Mut und das Vertrauen der Menschen, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg auf einen Neuanfang eingelassen und aus dem Nichts das Wirtschaftswunder geschaffen haben.

 

Luise Hermann, ihre Tochter Erika und Albert Sefranek gab es tatsächlich. 1932 gründete Luise die L. Hermann Kleiderfabrik in Künzelsau, noch nicht ahnend, dass dort einmal die erste Jeans Deutschlands vom Band laufen würde. Inwiefern mussten hier verschiedene Figuren aufeinandertreffen, damit es dazu kommen konnte?

Wir Frauen aus der Villa Hermann
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Albert Sefranek, der junge Chef der späteren Firma »Mustang«, ahnte sicher nicht, dass Levi Strauss‘ Arbeitshose das Lebensgefühl zukünftiger Generationen prägen würde. Ihn inspirierte die Levis 501, die er an die mageren deutschen Verhältnisse anpasste und später sukzessive zu seiner eigenen Marke veränderte. Seine Schwiegermutter Luise Hermann, die Gründerin der L. Hermann Kleiderfabrik für Berufsbekleidung, war zuerst wenig begeistert von den »Karussellfahrerhosen«, die ihr da unter die Nähmaschine flatterten. Aber als sich erste Erfolge einstellten, hat sie den jungen Leuten keine Steine mehr in den Weg gelegt. Wichtig war sicher auch, dass es in Frankfurt Luises Vetter Karl gab, der in seinem StEG-Laden Waren aus den Truppenbeständen der Amerikaner verkaufte und Albert auf die Idee brachte, einige Hosen von amerikanischen Soldaten gegen Hohenloher Schnaps einzutauschen. Da der Erfolg seines Projekts für Albert in der Nachkriegszeit nicht abzusehen war, hat er sich auf ein riskantes Abenteuer eingelassen, das ihm aber später eine Reihe von Optionen öffnete, z.B. mit der »Girls-Campinghose« eine Jeans für Damen herauszubringen.

 

Neben den Figuren, die an historische Vorbilder angelehnt sind, gibt es aber auch noch Lia. Eine junge Schneiderin, die wir zu Beginn des Romans als vermeintlich erste Frau in Deutschland in Jeans erleben. Was hat Sie zu Lia inspiriert und wofür steht sie in Ihrem Roman?

Lia ist eine junge Frau, die sich von keinen Äußerlichkeiten beeinflussen lässt und immer das tut, was ihr richtig erscheint. Ich habe sie bewusst als phantasievolle Rebellin konzipiert, die intuitiv einen sicheren Modegeschmack mitbringt. Indem sie im Prolog in Jeans ausgeht, reklamiert sie »die Hälfte des Himmels« für Frauen, eine Freiheit, die ihnen die Männer in den fünfziger Jahren zielbewusst wieder absprechen wollten. Bei Lia dürfen Frauen von der Hose bis zum Petticoat bis zur Dior-Mode alles tragen und alles werden. 

 

Zum Abschluss: Welches Gefühl haben die blauen Hosen damals im Nachkriegsdeutschland ausgelöst? Und was verbinden Sie heute mit Jeans?

Auch wenn die Mädchen oft in Petticoats schwelgten, drückten Jeans das Lebensgefühl der jungen Generation in den Fifties aus, die heiße Öfen fuhr, Rock ‘n’ Roll tanzte und den in Deutschland stationierten Elvis Presley bewunderte. Mit der Kleidung und der Musik übernahm man den »American Way of Life« und setzte sich bewusst von der Kriegsgeneration ab. Was für ihre Eltern Anbiederung an die Besatzungsmacht bedeutete, war für die Jugendlichen ein Stück Freiheit. Während die Väter ihre Hosen noch mit Hosenträgern in Position hielten, legten sich die Youngsters mit den neuen Hosen in die Badewanne, damit sie so hauteng wie möglich saßen.

Ich verbinde die ersten Jeans mit James Dean, Marlon Brando und ihrem deutschen Pendant Peter Kraus, aber auch mit Marilyn Monroe in »Misfits – Nicht gesellschaftsfähig«. In diesem Film tritt sie in einer weißen Hemdbluse und einer auf Taille geschnittenen Jeans auf, einem Outfit, das sich problemlos in unsere Zeit übertragen ließe.

Und ja, auch ich trage fast täglich Denim. Jeans sind praktisch und leger und sehen – hoffentlich – noch immer schick an mir aus. Ich habe von meiner ersten Wrangler für sagenhafte 50 DM an über die Karottenhose in den Achtzigern so gut wie alle Trends mitgemacht. Nur die Hüftjeans und die vorgefertigten Risse auf Kniehöhe konnten mich nicht begeistern. Eine Mustang in ausgewaschenem Schwarz war übrigens lange Zeit meine Lieblingshose.

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